Neururer redet Tacheles: “Nagelsmann-Hype groß übertrieben”
Aktualisiert Okt 18
Bild: Peter Neururer blickt auf den ersten Sieg unter dem neuen Bundestrainer. (© Wettfreunde)
Peter Neururers Kolumne zum erfolgreichen ersten Teil der USA-Reise
Erstes Spiel, erster Sieg. Dazu eine ansprechende Leistung im Spiel gegen die USA am Samstag. So hat es zumindest unser Experte Peter Neururer gesehen.
Zugleich warnt er aber auch davor, jetzt den neuen Bundestrainer gleich als “Erfinder des Fußballs” allzu hoch zu hypen. Noch sei man gerade einmal am Anfang des Weges, auch wenn dieser erfolgreich sein könnte.
In “Neururer redet Tacheles” bespricht der 68-Jährige die Geschehnisse rund um die Nationalmannschaftsreise des DFB und EM 2024.
Neururer über USA-Länderspiel: “Qualität, die ich lange nicht gesehen habe”
Liebe Wettfreunde,
Hartford schreibt Sportgeschichte. Damals Boris Becker gegen John McEnroe, ein legendäres Spiel um den Klassenerhalt im Davis-Cup. Jetzt die deutsche Nationalmannschaft nach grauenvollen Monaten, ja vielleicht sogar Jahren, mit einem Auftritt, der wirklich für viel, viel gute Stimmung sorgt.
Ein Sieg bei den USA. Ich habe ehrlich gesagt nicht unbedingt damit gerechnet, aber die Art und Weise, wie er zustande gekommen ist – grandios.
Natürlich konnte es noch nicht alles perfekt laufen, in der ersten Halbzeit einige Fehler gemacht wurden, im taktischen Bereich. Aber jetzt kommt das Großartige: Das hat der Trainer, das hat die Mannschaft erkannt, in der Halbzeitpause umgestellt, und in der zweiten Halbzeit haben wir dann endlich wieder attraktiven Fußball gesehen.
Losgelöst von dem überragenden Ergebnis, 3:1 in den USA zu gewinnen ist großartig, aber losgelöst davon haben wir endlich einen Fußball gesehen, den wir spielen können, der attraktiv war, der gut organisiert war, der in der Defensive dann ordentlich stand, der in der Offensive immer wieder für Highlights gesorgt hat. Also ein Fußballspiel, was ich in dieser Qualität von der deutschen Nationalmannschaft schon lange nicht mehr gesehen habe.
Jetzt natürlich äußert sich der Fußball-Fachmann: Es muss genau so weitergehen, obwohl das Spiel gegen Mexiko eine ganz andere Qualität haben wird.
Neururer über Füllkrug: “Neuner mit zwei Torbeteiligungen. Hut ab dafür!”
Ich gehe davon aus, dass Julian Nagelsmann, der neue Bundestrainer, nach diesem grandiosen Start die Mannschaft ein klein wenig verändert. Bei der Europameisterschaft braucht er auch mehrere Spieler, also die Mannschaft wird ein anderes Gesicht haben. Der eine oder andere wird natürlich eingesetzt, aber das Spiel gegen Mexiko wird mit Sicherheit ein ganz anderes Niveau haben, losgelöst vom Gegner, gegen den wir spielen müssen, als das Spiel gegen die USA.
Ich glaube, dass Füllkrug nicht nur in diesem Spiel gezeigt hat, dass er der Nationalmannschaft guttut, nicht nur in Ermangelung anderer Neuner, die ähnliche Qualitäten haben, das muss man zweifelsfrei so sehen. Aber Füllkrug ist im Augenblick der Mann, der auf dieser Position der deutschen Mannschaft weiterhilft.
Treffsicher, arbeitet viel, arbeitet gut und auch gut gegen den Ball, wie man so schön zu sagen pflegt. Er sorgt immer wieder mit variablem Spiel und guten Abschlüssen für Torgefahr. An zwei Toren beteiligt – wann hat es das zum letzten Mal gegeben, dass ein typischer Neuner an zwei Toren für Deutschland beteiligt war? Hut ab dafür!
Jeden Donnerstag – wöchentlich frisch auf den Tisch!
Peter Neururer über Nagelsmann-Hype: “Bei allem Verständnis, groß übertrieben”
Ich persönlich glaube, bei allem Verständnis für alle Dinge, dieser Hype, der im Augenblick um Julian Nagelsmann gemacht wird, als den Erfinder des Fußballs, als denjenigen, der dem deutschen Fußball und der Nationalmannschaft wieder das Leben eingehaucht hat, ist ein klein wenig, oder nicht nur ein klein wenig, ich finde groß übertrieben.
Denn wir sind am Anfang einer hoffentlich erfolgreichen Zeit, mit dem neuen Bundestrainer Julian Nagelsmann, der sich zweifelsfrei tadellos verhalten hat in allen Bereichen, der, wie die Mannschaft sagt, ein tolles Training abgeleistet hat, der eine klare Ansprache hatte.
Aber letztendlich steht da die Elf auf dem Platz, genauso wie in der Vergangenheit auch eine Elf auf dem Platz stand, die die Verantwortung trägt. Die Symbiose scheint im Augenblick zu stimmen, aber wir sollten jetzt noch keine Urteile abgeben.
Wir sind mit Julian Nagelsmann auf dem richtigen Weg. Aber wie die Stimmung innerhalb der Mannschaft zum Beispiel in Bezug auf diesen Hype ist, hat Thomas Müller ganz klar demonstriert und dokumentiert. Nach dem Spiel gab er in einem Interview, also es immer nur darum ging, was hat Nagelsmann gemacht, was der Nagelsmann dann gemacht, was ist in der Halbzeit umgestellt worden, was hat Nagelsmann nach dem Spiel gesagt, die klare Antwort: “Wenn ihr das wissen wollt, dann fragt den doch bitte selber und nicht uns.” Das war eine gute Antwort. Das spiegelt einiges wider.
Die Europameisterschaft steht vor der Tür, einige müssen sich noch qualifizieren, allen voran, auf unsere räumliche Nähe natürlich bezogen, eine ganz wichtige Nation.
Die Österreicher mit ihrem Trainer Ralf Rangnick müssen in Aserbaidschan das nächste Spiel abreißen. Die müssen unbedingt gewinnen, um weiterzukommen.
Dann ist es natürlich sehr, sehr überraschend, dass die Griechen im Augenblick vor den Holländern stehen. Die Holländer müssen das Spiel in Griechenland in dieser Woche gewinnen, dann sind sie auch qualifiziert.
Dass die Belgier durchmarschiert sind, ist eigentlich vollkommen klar. Vor allem nach dem Sieg gegen Österreich, als sie in Österreich 3:2 gewonnen haben.
Einige Mannschaften stehen fest, einige kämpfen noch brutal um die Teilnahme. Die Spanier haben es mit einem 1:0-Sieg gerade mal so über die Linie geschafft.
Also, es wird noch spannend in dem einen oder anderen Land, und ich freue mich natürlich auf die Europameisterschaft im nächsten Jahr, losgelöst davon, dass wir uns dafür nicht qualifizieren müssen.
Alles Gute,
Euer Peter
